Tag der Arbeit in Offenbach

Wir müssen mehr zulassen

01.05.2023 | Seit Januar ist Manuel Schmidt Bevollmächtigter der IG Metall Offenbach. Im Interview zum 1. Mai erklärt er, warum der Tag der Arbeit aktueller denn je ist, spricht über das neue Selbstbewusstsein der Jugend – und darüber, was sich die Gewerkschaft von der Klimabewegung abschauen kann.

Bilder: W. Repp, S. Malsy

Herr Schmidt, auch in diesem Jahr demonstriert die IG Metall am 1. Mai – warum ist das Datum für die Gewerkschaft noch immer ein wichtiger Symboltag?

Ich würde zunächst mal bestreiten, dass es ein Symboltag ist. Es ist ein Tag, an dem wir unsere Position geballt in die Öffentlichkeit tragen können. Auch die Aufmerksamkeit der Medien ist da. Ich glaube, eigentlich ist der 1. Mai aktueller denn je: Wir leben in sehr schnelllebigen Zeiten, schlittern von einer Krise in die nächste. Corona hat uns hart getroffen, jetzt der Ukrainekrieg, der Energie- und Inflationskrise mit sich bringt.

Wofür will sich die IG Metall an diesem 1. Mai stark machen?

Arbeitszeit ist das politischste Thema und nach wie vor eine große Debatte in den Betrieben. Aber natürlich auch die Frage von Lohnentwicklungen. Es gibt viele Menschen, die ohne Tarifvertrag arbeiten, die ihre Arbeitsbedingungen selbst mit dem Arbeitgeber aushandeln müssen. Letztlich geht es immer, auch an diesem 1. Mai, um gute Arbeits- und Lebensbedingungen.

Thema Arbeitszeit: Die IG Metall hat zuletzt die Einführung einer Vier-Tage-Woche angestoßen.

Bei uns in der Region spielt das erst mal eine untergeordnete Rolle, relevant wird das zunächst vor allem in der Stahlbranche. Aber natürlich ist die Vier-Tage-Woche in aller Munde. In unseren Tarifverträgen ist geregelt, dass wir in der Metall- und Elektroindustrie 35 Wochenstunden arbeiten. Das ist bereits weit unter dem Durchschnitt des normalen Beschäftigten. Die Arbeitszeit-Debatte geht aber über die Vier-Tage-Woche hinaus.

Inwiefern?

Die Menschen lechzen nach flexibleren Modellen. Nach Corona versuchen viele Unternehmen, den Home-Office-Trend auf Null zurückzudrehen – und bekommen es mit dem Widerstand der Beschäftigten zu tun. Gerade junge Menschen sagen: Wenn du mir keine Möglichkeiten gibst, suche ich mir einen anderen Betrieb.

Sie sprechen die Jugend an. Fühlt die sich von den traditionellen Strukturen der Gewerkschaft noch repräsentiert?

Das muss man differenzierter sehen, denke ich. Mein Eindruck ist, dass sich unsere Mitglieder durchaus repräsentiert fühlen. Aus meiner Sicht müssen wir je nach Zielgruppe unterschiedliche Ansätze der Zusammenarbeit wählen. Der klassische Arbeiter hat andere Anforderungen an Gewerkschaftsarbeit als der Ingenieur oder der Angestellte. Die Jugend spielt dabei noch mal eine gesonderte Rolle.

Wie geht die Gewerkschaft darauf ein?

Wir müssen der Jugend einen Rahmen bieten, indem sie ihre Themen bearbeiten kann. Getreu dem Motto: Mache die Themen der Menschen zum Thema der Gewerkschaften und nicht andersherum. Wenn wir es schaffen wollen, neue Menschen mit auf die Straße zu nehmen, müssen wir als Gewerkschaft offener sein. Offener für neue Herangehensweisen. Wir als IG Metall haben für alles Beschlüsse, damit stehen wir uns an der einen oder anderen Stelle selbst im Weg – manchmal müssen wir einfach mehr zulassen.

Was bedeutet das denn konkret?

Den Menschen erlauben, sich für ihre eigenen Interessen einzusetzen. Ich kann nicht mehr sagen: Ich bin der Bevollmächtigte, ich regele das alles für dich. So sind wir jahrzehntelang dahergekommen. Und über Jahre war das auch das Richtige für viele, die nach Orientierung gesucht haben. Über den Punkt sind wir aber gesellschaftspolitisch weg, da tun wir uns als Gewerkschaft keinen Gefallen mehr. Wir müssen neue Ideen begrüßen.

Junge Menschen nutzen vor allem die sozialen Medien als Plattform für ihre Standpunkte.

Und genau das müssen wir als IG Metall akzeptieren. Das hat nichts mit Kontrollverlust zu tun, auch wenn das der eine oder andere vielleicht vermuten mag. Ich glaube, diese Toleranz ist etwas, das uns attraktiv machen kann. Wenn wir mutig sind, so was gemeinsam zu gestalten, kann uns das helfen. Wenn wir als Gewerkschaft jedoch wirkmächtig bleiben wollen, müssen wir die Menschen wieder stärker zusammenbringen.

Generationenübergreifende Aufmerksamkeit erfährt die Klimabewegung. Kann sich die Gewerkschaft da vielleicht etwas abschauen?

Die Klimabewegung hat sich aus einer Wut heraus entwickelt – oft bricht so was ganz schnell zusammen. Bei Fridays for Future finde ich zum Beispiel beachtenswert, dass das anders gelaufen ist. Die haben recht schnell eine Organisationsstruktur aufgebaut und bei vielen Gleichaltrigen einen Nerv getroffen. Sie waren omnipräsent, haben das Thema in die Politik getragen und durch Protest auf der Agenda gehalten. Was ich allerdings fatal finde, ist das, was die Letzte Generation momentan vollführt.

Warum?

Weil ich glaube, das ist kontraproduktiv, was da passiert. Mit solchen Aktionen bringst du eher die breite Masse gegen dich auf. Fridays for Future grenzt sich davon ab, steht für Austausch und Debatte. Sie wollen die Diskussion konstruktiv begleiten und sagen: Das ist nicht unsere Protestform. Und auch ich finde: Klar, diese Aktionen bringen Aufmerksamkeit. Unterstützen würde ich sie trotzdem nicht.

Ein Blick in die Zukunft: Worauf wird es für die Gewerkschaft ankommen, wenn sie weiter eine tragende Rolle im Arbeitskampf spielen will?

Es ist wichtig, dass wir nah bei den Menschen im Betrieb sind. Ich habe das gerade beim GKN-Streik erlebt. Ich war fünf Tage die Woche in allen Schichten bei der Mannschaft. Wir müssen genau erklären, wann welche Schritte nötig sind. In den vergangenen Jahren haben die Gewerkschaften gehofft, dass die Menschen ihnen blind folgen. Ich weiß nicht, ob das jemals der Fall war. Meine Erfahrung ist: Die Leute wollen verstehen, warum sie etwas tun. Und dann sind sie auch total bereit, mit uns diesen Weg zu gehen.

 

Das Gespräch führte Julius Fastnacht.

Von: ms

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